
„Mama hatte keine Angst“
Ruth Baumgartha – Betrunken vom afrikanischen Licht
Von Julian Rohr
27.12.2022, 18:01 Uhr
Ein Farbenrausch, der Lust auf die Wärme und das Licht Afrikas macht: Die 2013 verstorbene deutsche Künstlerin Ruth Baumgarte wird posthum in Ausstellungen ausgezeichnet. Aktuell in der Wiener Albertina mit einem Afrika-Zyklus zum Träumen.
Lavaartig fließende Landschaften, berauschendes Licht, Menschen, die mit der Umgebung verschmelzen. Das Publikum spürt die Nähe zur Natur, die Hitze und Sonne Afrikas. Brennende Rottöne, eine Mischung aus Orange und sattem Ocker mit kräftigem Pink und Lila. Bilder, die die Sehnsucht nach anderen Welten schüren. Die farbenfrohen Gemälde von Ruth Baumgrata wärmen – besonders wenn es draußen dunkel und kalt ist. Mit der Ausstellung „Africa: Visions of Light and Color“ wird der deutsche Künstler nun in der Albertina in Wien wiederentdeckt. Ein besonderes Schmankerl: Seine Kunst wird ergänzt durch mehrere Werke und Tapisserien von Eti-Petra Rogge, Jahrgang 1984. Das katapultiert Baumgarthas afrikanische Farbströmungen in die Gegenwart. Die südafrikanische Künstlerin hat gerade den mit 20.000 Euro dotierten Ruth-Baumgartha-Preis erhalten.

Alexander Baumgartha freut sich, dass sich ein junger afrikanischer Künstler für die Farben seiner Mutter begeistert.
(Foto: Sebastian Drüen)
Die Künstlerin hat diesen Preis ein Jahr vor ihrem Tod ausgelobt und mit ihrer 2012 gegründeten Stiftung befreundet. Die Liste der acht Gewinner umfasst nun prominente Persönlichkeiten wie Nan Goldin und William Kentridge. Baumgratas jüngster Sohn, Alexander Baumgrata, kümmert sich mit großem Engagement um das Lebensunternehmen seiner Mutter. Schon früh beobachtete er seine Mutter im Bielefelder Atelier, später war er als Partner an Reisen nach Afrika interessiert. Baumgrata erzählt ntv.de von einer abenteuerlichen Reise zwischen Nairobi und Tansania, bei der das Auto auf der unbefestigten Straße wie verrückt wackelte. „Ich war froh, als wir endlich unser Ziel erreichten. Meine Mutter hingegen hatte keine Angst. Ihr ist auf ihren Reisen nie etwas Schlimmes passiert.“
Frauen in Führungspositionen
Seit 1957 zog es die Künstlerin mehr als 40 Mal nach Afrika. „Das waren keine touristischen Urlaubsreisen“, sagt Alexander Baumgrata. “Sie hatte dort Freunde, kannte Journalisten, Künstler, aber auch andere Leute.” Und manchmal verbrachte er Monate in Südafrika, Uganda, Kenia oder Äthiopien. Hier erstellte sie kleine Skizzen von Menschen, denen sie begegnete und die sich für ihre Geschichten interessierten. Diese farbenprächtigen Ölgemälde entstanden ausschließlich in ihrem Atelier in Bielefeld. Dabei distanzierte sie sich von Ort und Zeit und malte allgemeingültige Bilder, in denen sie Figuren und Landschaften verwob.

Bilder von expressionistischer Kraft: Baumgartha erzählte vom wahren Leben in Afrika und beobachtete genau.
(Foto: Ruth Baumgartha Art Fund)
Frauen spielen in Ruth Baumgarthas Malerei eine zentrale Rolle. Aber sie setzt sie nicht als feministische Wesen in ihre Bilder. Sie betrachtete die Geschlechterrollen in Afrika. Frauen arbeiten normalerweise hart in ihren Szenen, Männer erscheinen nicht auf Frauenbildern. Sie selbst heiratete 1952 den Bielefelder Industriellen Hans Baumgrata und musste einem harten Gütertrennungsvertrag zustimmen. Als befreite Frau wollte sie ihr Leben als Künstlerin nicht gegen das Leben als Hausfrau und Mutter eintauschen. Sie wollte beides kombinieren. Im Laufe der Jahrzehnte dachte sie mehrmals über eine Scheidung nach, entschied sich aber aus Verantwortung gegenüber ihren drei Kindern und ihrer zu Hause lebenden Mutter dagegen.
Sie blieb eine selbstbewusste Frau, die sich nicht in Rollenklischees und ein unpassendes Korsett drängen ließ. Das Zusammenleben mit einem reichen Mann schränkte ihre Freiheit jedoch in vielerlei Hinsicht ein. Zwischen den 1950er und 1970er Jahren war es in Westdeutschland noch gesetzlich verankert, dass Ehemänner ihre Frauen bevormunden konnten. Als Akt der Selbstbefreiung gründete sie 1975 die Produzentengalerie „Das Fenster“. Damit wollte sie die regionale Kunstszene fördern.
Die Galerie finanzierte sie aus dem Verkauf ihrer Bilder. Durch die Arbeit in der Galerie bleibt ihr aber auch weniger Zeit für ihre eigene Kunst. 1986 durchbrach sie diesen Teufelskreis und gab die Galerie auf. In dieser Zeit wurde ihr das von vereinzelten Ängsten geprägte Leben in der Bundesrepublik zu eng, immer wieder reiste sie nach Afrika. Abseits von Rüstungsdebatten und RAF-Terror. Den 63-Jährigen faszinierten die sozialen Brüche der afrikanischen Kulturen, die Menschen, die Landschaften und das soziale Leben in Dörfern und Städten. In Alberta begann sie ihren Afrika-Zyklus, der heute als Höhepunkt ihres künstlerischen Lebens gilt.
Ein Blick auf Afrika ohne koloniale Arroganz

Athi-Patra Ruga rundet die Ausstellung mit einem aktuellen Blick auf Afrika ab: „In den Bildern von Ruth Baumgrata spürt man den Respekt vor dem Thema.
(Foto: Sebastian Drüen)
Als Preisträger eignet sich Athi-Patra Ruga besonders gut, da er selbst seine Inspirationsquellen in weißen europäischen Künstlerinnen wie Ruth Baumgrata sieht. Seine Werke sind ähnlich ausdrucksstark und farbenfroh. In der Albertina kann man sie fast ignorieren, so gut passen sie in die Ausstellung. In seinen Gemälden, Performances, Tapisserien oder Glasbildern zeigt Athi-Patra Ruga Avatare frei von Geschlecht, Klasse oder Ethnizität. Hemmungslos löst die 38-Jährige geografische Grenzen, Geschlechterzuschreibungen und soziale Unterschiede in der afrikanischen Geschichte auf. Er stellt sich ein gleichberechtigtes Südafrika ohne Rassismus und Homophobie vor. Denn trotz liberaler Gesetze haben es LGBTQIA+ Menschen in der sogenannten Regenbogennation schwer und kämpfen immer noch für Gleichberechtigung.
Ruth Baumgrata zeigt Frauen einen respektvollen Blick auf ihre Arbeit, zum Beispiel beim Trocknen von Kürbiskernen. Sie blickte ohne jede Geste kolonialer Überlegenheit nach Afrika. Die heute fast täglich aufflammenden postkolonialen Debatten und Fragen der Aneignung und kulturellen Enteignung gab es zu ihrer Zeit nicht. Die in Wien geborene und in New York geborene Kunsthistorikerin Renee Gadsden sagt in ihrer Rede über die Etti-Petra-Rogge-Preisträgerin, dass sie nicht an diesen andauernden Diskurs denke, in dem alle in irgendeiner Schublade landen. „Wir müssen verstehen, dass wir uns gemeinsam auf dieser Reise befinden, alle Teilchen haben ihren Platz. Es ist ähnlich wie beim Ying- und Yang-Zeichen. Das Weiße hat einen schwarzen Punkt und der schwarze Teil hat Weiß. Du, Eti, bist der Erste Schwarzer Künstler, offen schwul, diesen Preis zu gewinnen. Es ist inspirierend, eine Inspiration und wichtig für viele Menschen.”
Niemand weiß, was Ruth Baumgartha über den Busch gesagt hätte. Alexander Baumgrata beschreibt die 1923 geborene Mutter als Humanistin. Als sie 1941 ihr Kunststudium in Berlin begann, wurde sie zu einer aufmerksamen Beobachterin ihrer Umgebung. Schon damals waren ihre Platten den Menschen in ihrer Realität gewidmet. Weil sie vor unbequemen Wahrheiten nicht zurückschreckte, wurden ihre Bilder der NS-Diktatur nicht öffentlich gezeigt. In den 1950er Jahren spielte sie jahrelang Arbeiter in der Stahlindustrie. In ihrer Kunst blickte sie immer wieder auf die Außenseiter der Gesellschaft.
Auch in ihrem Afrika-Zyklus geht es um Verfolgung, Flucht und Migration – dies zeigt sich in ihren Skizzen, die ebenfalls gezeigt werden. Dennoch spielen hier politische Ereignisse eine Rolle, Schwierigkeiten und Verzweiflung sind offensichtlich. Mit ihrer späteren Farbwahl und Formzerlegung drückte sie auch ihr aufflackerndes Unbehagen an gesellschaftlichen Konflikten aus. Die Energie, die von ihren Fotos ausgeht, ist positiv und macht Lust auf mehr Omgrata-Weise.
Die Ausstellung „Afrika: Visionen von Licht und Farbe“ ist bis zum 5. März zu sehen Albertine, Wien
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