
Wenn in den kommenden Jahren bis spätestens 2030 die Babyboomer in Rente gehen, wird es für unsere medizinische Versorgung doppelt bitter.
► Es gibt nicht genug junge Ärzte, um die Babyboomer zu ersetzen.
► Babyboomer brauchen aufgrund ihrer großen Zahl mit zunehmendem Alter immer mehr Ärzte.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (59, SPD) fürchtet: „Wir können dieses Defizit nicht dadurch ausgleichen, dass wir die ärmsten Länder abwerben, die den Spezialisten brauchen“, sagte Lauterbach zu BILD am SONNTAG.
„Wenn wir die Zahl der Studienplätze nicht um 5.000 erhöhen, werden wir die Babyboomer-Generation in naher Zukunft nicht richtig versorgen können.“ Auch eine Krankenhausreform „macht wenig Sinn, wenn wir keine Ärzte für die Kliniken danach haben“.
Doch eine BILD am SONNTAG-Umfrage bei den 16 Wissenschaftsministerien der Länder ergab, dass in diesem Jahr fast keine Studienplätze hinzukommen.
Eine Ausnahme bildet Bayern, das “in den kommenden Jahren” 2.700 neue medizinische Studienplätze schaffen will.
Medizinstudium 1982 bis 1989: Karl Lauterbach (59, SPD)
Die meisten Länder hingegen beziehen sich nur auf das, was sie kürzlich getan haben. Ein Jahr Humanmedizin konnte in Bielefeld studiert werden.
An der Universität Oldenburg soll die Zahl der Studienplätze für das Medizinstudium von 120 auf 200 erhöht werden. Die Wissenschaftsverwaltung des Berliner Senats teilt mit, dass 2023 weitere 19 medizinische Studienplätze an der Berliner Charité geschaffen werden sollen (a insgesamt 658).
„Aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Susanne Johna, Präsidentin des Marburger Vereins. Seit Jahren warnt die Ärztegewerkschaft vor dem Mangel an Studienplätzen. „Auch wenn du jetzt fährst, ist der Wettlauf gegen die Zeit fast unmöglich zu gewinnen“, sagt Johna.
Das Medizinstudium dauert sechs Jahre, gefolgt von einer mindestens fünfjährigen Facharztausbildung.
Zudem arbeiten immer mehr Ärzte in Teilzeit. 2013 waren es noch 13 Prozent, heute nimmt fast jeder Dritte ab. Auch Männer, ehemalige Ärzte.
“Früher war es normal, dass Ärzte sich selbst ausbeuten”, sagt Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, “aber die junge Generation ist nicht mehr bereit, alles andere beiseite zu schieben.”
Allerdings müsse man laut Reinhardt auch auf die Intensivierung der Arbeit schauen: Ärzte behandeln heute viel mehr Patienten in kürzerer Zeit. Der Grund: die kürzere Verweildauer und fehlende Investitionen der Länder, die die Krankenhäuser mit noch mehr Eingriffen kompensieren. Es ist nicht verwunderlich, dass viele auf eine Woche von 4 Tagen reduziert werden.
Es gibt auch einen fatalen Fehler der Vergangenheit: Als die ersten Babyboomer in den 1980er Jahren ihr Medizinstudium beendeten, wurde es als „Ärztehöhle“ abgestempelt.
Grund war die Konkurrenzangst der älteren Hausärzte, die um ihr Einkommen fürchteten und in Abwehrkämpfe gerieten. Mit Erfolg: „Doktor in Ausbildung“ hieß das 18-monatige Ausbeutungsprogramm, das den Weg zum Arzt noch schwieriger machen sollte.
Problem: Auch die Studienplätze wurden reduziert.
ABER: Warum tun die Bundesländer nicht alles, um schnell die benötigten 5.000 Studienplätze zu schaffen?
„Die Länder müssen jetzt handeln“, forderte der Präsident der Bundesärztekammer, Reinhardt. „Aber die Fakultäten befürchten einen Qualitätsverlust in der Lehre, wenn sie ohne zusätzliches Geld immer mehr Studierende ausbilden.“ Zudem ist das Medizinstudium für den Staat dreimal so teuer wie andere Studiengänge (mehr als 30.000 Euro pro Student und Jahr).
Reinhardt schlug vor, dass der Bund Mittel für den Ausbau medizinischer Studienplätze bereitstellt. „Ein Euro vom Bund für jeden weiteren Euro vom Land.“
Sein Argument: Gesundheit, Pflege und medizinische Versorgung sind grundlegend für eine langlebige Gesellschaft.
Dieser Artikel stammt von BILD am SONNTAG. Das ePaper der gesamten Ausgabe ist verfügbar Hier.