
Kriminelle Banden kämpfen schon lange in Schweden, und die Täter und Opfer werden immer jünger. Experten stellen der Polizei ein miserables Zeugnis aus.
Schüsse werden abgefeuert, Sprengladungen gezündet und immer wieder Passanten getroffen: Ein brutaler Krieg zwischen rivalisierenden Banden hält Schweden in Atem. Allein im Raum Stockholm kam es innerhalb weniger Stunden zu fünf Gewaltverbrechen. Ein Mann wurde getötet, Beamte fanden das Opfer mit Schussverletzungen.
„Die Bandenkriminalität nimmt zu“, sagte Ministerpräsident Ulf Kristersson am Samstag gegenüber SVT. “Das sind Menschen mit extremem Gewaltpotential, die auf der Suche nach Rache oder Status die Sicherheit und Freiheit anderer bedrohen.”
Die Polizei scheint die Kontrolle verloren zu haben
Kristerssons neue Regierung hat geschworen, die Bandengewalt zu beenden, mit der Schweden seit Jahren konfrontiert ist. Im Jahr 2022 gab es in dem EU-Land 388 Waffenvorfälle, 61 Menschen starben.
Die Polizei scheint die Kontrolle verloren zu haben. Seit 2015 ist die Aufklärungsquote bei tödlichen Angriffen gesunken, 2022 führte nur noch jede vierte Tat zu einer Verurteilung. Infolgedessen betrachten Banden Mord als risikolos, sagte der Kriminologe Amir Rostami. Kriminelle werden immer gewalttätiger.
Ermittlerin Caroline Asplund wirft der Polizei “Totalversagen” vor. Beamte haben immer andere wie Sozialdienste, Schulen und Eltern gebeten, bei der Prävention zu helfen. Der Autorität selbst fehlt es an Selbstkritik.
“Unglaublich wichtig, dass wir nicht taub werden”
Im Großraum Stockholm haben die Schießereien und Detonationen seit Weihnachten deutlich zugenommen: Mehr als 20 Vorfälle zählte die Polizei im Dezember. Justizminister Gunnar Strömmer spricht von “Terroristen”. „Deshalb ist es so unglaublich wichtig, dass wir nicht müde werden“, sagte er. Rund 190 Beamte aus anderen Landesteilen wurden zur Unterstützung in die Hauptstadt entsandt.
Strömmer will unter anderem die Möglichkeiten erweitern, mutmaßliche Täter abzufangen. Zudem will die von Rechtspopulisten unterstützte konservative Regierung die Migrationspolitik stärken. Davon soll auch die Bandenkriminalität betroffen sein: Mitglieder rekrutieren sich laut Experten zunehmend aus Einwandererfamilien.
Berichte über Konflikte zwischen zwei Banden
Als einer der Gründe wird ein Konflikt um den Drogenmarkt in der fast 400 Kilometer weiter nördlich gelegenen Stadt Sundsvall vermutet. Laut SVT und der Zeitung Aftonbladet soll hier ein 24-Jähriger mit einem kriminellen Netzwerk das Sagen haben, und ein in der Türkei lebender 36-Jähriger – in Schweden als „kurdischer Fuchs“ bekannt – will ihn dafür herausfordern Position. Mehrere Taten sollen sich gegen die Angehörigen der beiden Hauptakteure gerichtet haben.
Ein Polizeisprecher nannte die Lage „sehr angespannt“. „Das ist nicht die Norm und ist in dieser Spirale der Gewalt noch nie vorgekommen“, sagte er. Ein Polizeiexperte für Bandengewalt, Gunnar Appelgren, sprach von einem sehr ernsten Konflikt. Es geht um “töten oder getötet werden”.
Minderjährige Teilnehmer
Opfer und Täter werden immer jünger. Am Freitagabend wurden zwei Minderjährige bei einer Verfolgungsjagd verletzt. Die Polizei fand Waffen in dem Auto, das sie fuhren. Ebenfalls am Samstagnachmittag wurden drei Jugendliche festgenommen, nachdem im südlichen Stockholmer Stadtteil Enskede auf einen Mann geschossen worden war. Die Hälfte der Verdächtigen sei unter 18 Jahre alt, sagte Ermittlungskommandantin Hanna Paradis kürzlich.
Die Verbrechen sorgen bei den Anwohnern für Angst. Am 27. Dezember hörten zwei Mädchen im südlichen Stockholmer Vorort Enskedalen einen lauten Knall. Zuerst dachten sie, das Geräusch käme vom Fernseher, sagte die 10-jährige Liv SVT. Aber es war eine Detonation. Seitdem fühle sie sich unsicher, sagte das Mädchen.